Der Gossauer Florin Scherrer (Die Mitte) steht kurz vor dem Höhepunkt seiner politischen Karriere.
Auf den Schultern von Florin Scherrer lastet viel Verantwortung: Seit kurzem politisiert er für die Mitte im Kantonsrat. Am 6. November ist seine Tochter Lilly zur Welt gekommen. Und am 10. Januar wird der Leiter Bau und Planung der Gemeinde Teufen voraussichtlich zum Gossauer Parlamentspräsidenten gewählt – die Wahl dürfte reine Formsache sein. Pascal Fürer (SVP) wird Vizepräsident. Bürdet sich Scherrer zu viel auf? Der 34-Jährige verneint: «Es sind ja alles schöne Sachen, die ich mir selber ausgesucht habe», sagt er in seiner Wohnung im Gossauer Zentrum, während seine Frau Vanessa auf dem Sofa das Baby wiegt. «Auch das Familienglück war geplant», sagt er. Statt Wellness- und Skiwochenenden unternehmen sie nun Spaziergänge, «um Lilly Gossau und die Welt zu zeigen». Sein politisches Engagement sei nur dank des grossen Einsatzes seiner Frau möglich, die nach dem Mutterschaftsurlaub wieder 40 Prozent als Treuhänderin arbeiten wird.
Ein Jahr lang «ufs Muul hocke»
Dass Florin Scherrer im neuen Jahr höchster Gossauer wird, bezeichnet er als «Riesenehre und Höhepunkt meiner politischen Karriere». Diese Chance biete sich nicht jedes Jahr. Als Präsident muss er den Parlamentsbetrieb lenken und darf keine Voten von sich geben. «Ich muss ufs Muul hocke. Dabei gebe ich meine Meinung gerne kund." Das werde ihm nicht leichtfallen. Doch die Freude aufs würdevolle Amt überwiegt: «Ich bin Gossauer durch und durch und freue mich auf viele Anlässe und Kontakte.» Man nimmt es ihm ab. Der ehemalige Forstwart wirkt fit, motiviert und zupackend. Als Vizepräsident hat er 2022 mit Parlamentspräsident Florian Kobler (SP) Sitzungen vorbereitet und die Gossauer Jungbürgerinnenfeier besucht. Die Zusammenarbeit lief gut, obschon sie nicht immer ihre Ansichten teilen. Während Kobler aus Klimaschutzgründen gegen weitere Autobahnanschlüsse ist, plädiert Scherrer dafür: «Stau ist für niemanden von Interesse.» Der Verkehr sei ein Wirtschaftsmotor: Ohne Zubringer ins Appenzellerland werde es im Raum der Industrie Gossau schwierig und könne das Zentrum nicht entlastet werden. In seiner Jugend war er Pfadfinder, auch als Abteilungsleiter. «Eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung. Ich bin froh, dass ich schon so früh Verantwortung übernehmen durfte.» Sein Pfadiname lautet Tweetie, nach dem Kanarienvogel der Zeichentrickserie –weil ich so flink bin wie ein Vogel». Das Vereinsleben geniesse in Gossau einen hohen Stellenwert. Er campt immer noch gern in unberührter Natur, etwa an einem der vielen Seen in Schweden – in einem Bus, den er und seine Frau sich in der Coronazeit angeschafft und selber ausgebaut haben. In der Forstwartlehre habe er gelernt, anzupacken. Allerdings merkte er, «dass ich noch mehr will und kann. Auch vom Schulischen her.» Er holte die Berufsmatura nach und studierte an der Hochschule in Rapperswil Raumplanung.
Vorurteil der «reichen, korrupten Politiker»
Schon als Kind interessierte sich der Sohn einer Hausfrau und eines Swisscom-Angestellten, der im Schwalbenquartier aufgewachsen ist, für Politik. «Wie stimmst du ab?», fragte er die Erwachsenen jeweils. Er fand es spannend, verschiedene Ansichten zu erfahren und sich eine eigene Meinung zu bilden. Dass einige seiner Bekannten nichts mit Politik zu tun haben wollen, findet er schade. «Es ist ein Irrglaube, dass einen Politik nichts angeht. Wir sind von früh bis spät von politischen Themen umgeben.» Er kämpft gegen Vorurteile. «Manche glauben, dass man reich wird, wenn man im Gossauer Stadtparlament sitzt. Und dass Politiker generell korrupt und abgehoben seien.» Pro Parlamentssitzung erhalte man als Parlamentarier rund 80 Franken. Fraktionssitzungen werden nicht entschädigt. «Aus finanzieller Motivation geht niemand ins Stadtparlament», sagt Scherrer und nutzt den Zeitungstermin für einen Appell: «Alle Gossauerinnen und Gossauer sind herzlich eingeladen, an einer Sitzung des Stadtparlaments teilzunehmen – sie sind öffentlich. Dann merkt man auch, dass die Debatten alles andere als abgehoben sind.» Nach politischen Vorbildern gefragt, nennt er Mitte-Politiker wie Ständerat Benedikt Würth und Regierungsrat Bruno Damann. Beide seien sachlich, objektiv und dossiersicher, auch bei brisanten Themen. Auch Stadträtin Helen Alder Frey nennt er: Sie sei eine gute Zuhörerin, mit offenem Ohr für die Bevölkerung. Was hält er von der Aussage von Gallus Hälg (SVP), der das Gossauer Parlament in der letzten Dezembersitzung ein «Weichspülparlament» nannte? Hälg kritisierte unter anderem, dass die Parlamentarier die Stadträtinnen und Stadträte mit Samthandschuhen anfassen würden. «Ich teile diese Meinung nicht, wir haben in Gossau eine gute politische Kultur», sagt Scherrer. Allerdings wünsche auch er sich, dass im Parlament künftig mehr Themen behandelt werden.
Arnegg soll ein Schulhaus bekommen
Seit sieben Jahren engagiert er sich im Parlament. In einem Vorstoss verlangte er etwa, dass die Stadt mehr für die Biodiversität tut. Daraufhin bot die Stadt kostenlose Gartenberatungen an. «Immerhin. Aber ich hätte erwartet, dass die Stadt noch mehr unternimmt.» Dass man mehr Kleinstflächen, die der Stadt gehören, ökologisch bepflanzen könnte – Rabatte, Böschungen, Dächer, den Mooswiespark, die Bundwiese. «Es muss nicht der grosse Wurf sein, sondern man sollte einfach loslegen, damit sich etwas entwickelt. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht.» Auch ist es Scherrer wichtig, dass Arnegg ein Schulhaus bekommt. In einer weiteren Einfachen Anfrage regte er an, dass die Stadt einen Batteriespeicher kauft – um Strom zu Spitzenzeiten wieder ins Netz zu speisen. Das tut sie nun auch. Das zeige, dass man als Lokalpolitiker etwas bewegen könne.
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