Stadtrat sein habe nicht viel mit Geniessen zu tun, sagt Florin Scherrer. Weshalb er trotzdem in die Exekutive will.
Florin Scherrer steht in seinem Wohnzimmer, alles ist fein säuberlich aufgestellt und in Glasvitrinen platziert, von Unordnung keine Spur. Und das, obwohl der Gossauer gerade erst eingezogen ist. Der 35-Jährige und seine Frau sind mit ihrer kleinen Tochter kürzlich ganz klassisch von einer Wohnung in ein Haus im ruhigen Familienquartier Hirschberg gezogen. «In anderen Zimmern stehen aber schon noch einige Kartons. Wir haben einfach die Türen geschlossen», sagt Scherrer.
Von seinem neuen Garten aus hat er einen guten Überblick über Gossau. Und den braucht er, schliesslich will Scherrer die Stadt künftig mitregieren. Am 18. Juni kandidiert der Mitte-Politiker für den frei werdenden Sitz von Gaby Krapf (FDP).
Dass Scherrer für den Stadtrat kandidiert, überrascht nicht. Seit vielen Jahren ist er politisch aktiv und ein bekanntes Gesicht in Gossau. Seit 2017 politisiert er im Stadtparlament, dieses Jahr präsidiert er dieses. Ende 2022 rutschte er in den Kantonsrat nach, zudem engagiert er sich im Vorstand der regionalen Mitte-Partei.
Stadtrat zu werden, reizte ihn schon länger, nun stimme der Zeitpunkt. «Mir liegt diese Stadt am Herzen und ich würde mich gerne für sie einsetzen», sagt Scherrer, der in Gossau aufgewachsen ist. An der Exekutive reize ihn die grosse Verantwortung. «Als Stadtrat arbeitet man zudem in einem Gremium mit unterschiedlichen Meinungen. Gemeinsam diskutieren, Lösungen suchen und entscheiden, das gefällt mir.»
Vor seiner Wahl zum Parlamentspräsidenten sagte Scherrer, dass dies der Höhepunkt seiner politischen Karriere sei. Am 18. Juni könnte nun bereits der nächste Höhepunkt folgen. Das Parlamentspräsidium könne man aber nicht mit dem Stadtratsamt vergleichen, sagt Scherrer. «Das Präsidium ist vor allem eine Ehre.» Man komme mit Personen in Kontakt, die man sonst nie treffen würde. «Werde ich in den Stadtrat gewählt, ist das ebenfalls eine Ehre, aber dort wäre ich, um anzupacken.» Das Präsidium habe viel mit Geniessen zu tun, sagt Scherrer und ergänzt mit einem Augenzwinkern: «Stadtrat sein hingegen hat nicht so viel mit Geniessen zu tun.»
Der 35-Jährige ist überzeugt, dass er ein Mehrwert für den Stadtrat wäre. «Ich bringe aus beruflicher Sicht viel Fachkompetenz und Führungserfahrung mit», sagt Scherrer, der ursprünglich Forstwart gelernt, anschliessend Raum- und Verkehrsplanung studiert hat und heute als Leiter Bau und Planung bei der Gemeinde Teufen arbeitet.
«Trotz meines jungen Alters habe ich zudem schon viel politische Erfahrung», sagt Scherrer und ergänzt: «Ich würde von mir behaupten, dass ich ein guter Zuhörer bin und ein offenes Ohr für alle habe. Auch das macht einen guten Stadtrat aus.»
Konkurrenz erhält Scherrer von Florian Kobler (SP), Sandro Contratto (FDP) und Benno Koller (SVP). Er freue sich auf den Wahlkampf, gehe das Ganze aber entspannt an. Er sei in einer privilegierten Ausgangslage: «Ich habe einen anspruchsvollen Beruf, der mich erfüllt. Werde ich nicht gewählt, wäre das kein Weltuntergang.» Er sei aber motiviert und gebe Gas, schiebt Scherrer gleich nach. «Ich würde mich riesig über eine Wahl freuen. Das ist etwas, was ich wirklich will.» Er habe grosse Lust, sich in alle Geschäfte hineinzuknien. Dossierfest zu sein, sei ihm wichtig: «Ich habe einen hohen Anspruch an mich.»
Geschäfte gibt es in Gossau genügend. Beispielsweise die Bauprojekte, die derzeit entweder noch blockiert sind, oder die weiteren Module für die Sportwelt Gossau. Und dann ist da natürlich das Dauerthema Verkehr. «Das Verkehrsproblem ist wie ein Puzzle und es gibt viele kleine Puzzlestücke. Das grösste Stück ist der mögliche Autobahnanschluss Appenzellerland», sagt Scherrer, der vor ein paar Jahren als Verkehrsplaner bei der Stadt Gossau gearbeitet hat. Er ist überzeugt, dass der Zubringer eine echte Entlastung für Gossau wäre. Es sei dementsprechend wichtig, dieses Projekt voranzutreiben. Parallel dazu gebe es viele kleine Puzzlestücke. «Der Verkehr betrifft alle Gossauerinnen und Gossauer. Wir wissen mittlerweile, dass wir selber für den grössten Teil verantwortlich sind und müssen uns an der Nase nehmen und uns fragen, wie viel Verkehr wir verursachen wollen.» Er selbst bewege sich mit verschiedenen Verkehrsmitteln: Nach Teufen fahre er meistens mit dem ÖV, nach Bedarf nutze er das Auto. In Gossau bewege er sich gerne zu Fuss. «Speziell in den letzten Monaten bin ich oft mit dem Kinderwagen zu sehen.» In gewissen Quartieren in Gossau gebe es Bedarf nach neuen oder besseren ÖV-Verbindungen, sagt Scherrer. Die Förderung des ÖV sei wichtig, auch wenn dies etwas koste. Hinzu kämen attraktive Velo- und Fusswege. «Nur wenn wir ein sicheres Velo- und Fusswegnetz haben, nutzen die Leute dieses auch.»
Ein grosses Anliegen ist Scherrer das Gewerbe und die Wirtschaft. «Gossau hat eine attraktive Grösse. Wir sind eine kleine Stadt mit vielen Arbeitsplätzen, haben eine starke Wirtschaft.»
Für ihn ist klar: Die Förderung des Wohn- und Arbeitsstandorts Gossau sei eine Aufgabe, die niemals aufhöre. Scherrer ist zudem überzeugt, dass in der Zukunft die Versorgungssicherheit wieder mehr beschäftigen werde, darauf müsse man ein Auge haben. Als Vater einer halbjährigen Tochter und als Vereinsmensch und Pfadfinder seien ihm zudem Familienthemen und die Vereine wichtig.
Frischgebackener Vater, Beruf, Kantonsrat, Parlamentspräsident und jetzt noch ein Wahlkampf – ist das nicht zu viel? Scherrer verneint. Er sei schon immer ein aktiver Mensch gewesen. «Ich will das so. So etwas wie einen Fernsehabend gibt es bei mir nicht», sagt er. «Okay, ab und zu ein Film am Sonntagabend mit meiner Frau, aber sonst nicht.»
Abschalten kann er unter anderem beim Squash, bei einem Bier mit den Kollegen oder einem Campingausflug mit der Familie. Sein grosses Hobby aber ist, natürlich, die Politik. Und als ob er noch beweisen will, dass er alles unter einen Hut bringt, fügt Scherrer hinzu, dass er bis jetzt noch keine Einladung als Parlamentspräsident habe ablehnen müssen.
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